Suchmaschinen: Diese Webseiten, die kaum mehr sind als eine leere Seite mit einem prominent platzierten Suchfeld irgendwo in der Mitte.
Die alten Hasen unter uns erinnern sich noch an Yahoo Search, Lycos und Alta Vista. Das sah alles in den 90ern noch weniger clean aus als heute.
Unterdessen scheinen sich alle zumindest optisch darauf geeinigt haben: Bloß keine Zweifel aufkommen lassen, worum es hier geht: Um deine Suchanfrage.
Offizielle Definition
Aber das Design ist wohl kaum das, was eine Suchmaschine ausmacht. Jedoch: Was dann? Wenn ich nach der Definition von “Suchmaschine” google, kommt dieser Snippet:
Bäm! Eine Suchmaschine stellt also Zugang zu Datenbanken aus dem offen zugänglichen Internet bereit. Wenn das auch nicht explizit ausformuliert wird, so ist das klar die Implikation.
Wenn du mit ihr einverstanden bist, dann kannst du jetzt aufhören zu lesen. Schön, dass du da warst.
Ich bin nicht einverstanden.
Mein Einspruch
Seit ich diese Definition kenne, treibt sie mich um. Sie schließt eine ganze Kategorie von “Programmen” aus, die ebenso für die gezielte Suche nach Informationen benutzt werden.
Darf ich vorstellen: TikTok, YouTube, Facebook und Amazon, um nur die ersten zu nennen, die sich mir in diesem Kontext jeweils aufdrängen.
Vielleicht schüttelst du jetzt mit dem Kopf, denn du weißt: Der Zugang zu deren Datenbanken beschränkt sich auf Content innerhalb der jeweiligen Plattform. Auf Tiktok lässt sich kein Video finden, welches sich auf irgend einer beliebigen Webseite befindet. Und auf Amazon kann man keine YouTube-Videos finden. Und so weiter.
Der Unterschied zu Suchmaschinen wie Google ist also offensichtlich.
Ich werde hierauf zurückkommen.
Potentielle Google-Konkurrenten
Das Kläffen von Instagram
Vor einigen Jahren bin ich über die Behauptung gestolpert, jüngere Social Media-Nutzer würden vermehrt auf Instagram recherchieren statt nur noch auf Google.
Ich habe nun versucht, Beispiele davon wieder zu finden. Leider war ich nur imstande, ein einziges Beispiel auszugraben: Aus dem Jahr 2016 existiert noch ein Thread auf Quora mit der Frage: “Ist es wahr, dass heutzutage junge Leute auf Instagram suchen statt auf Google?”
Diese wird von den Kommentierenden tendenziell eher verneint als dass ihr zugestimmt wird. Einen Blog- oder Magazin-Artikel zu dem Thema kann ich nicht mehr finden.
Vermutlich ist das der Grund, warum ich erst heute wieder daran dachte. Instagram blieb nicht und wird nie für seine Suchfunktion in den Köpfen hängen bleiben, sondern “nur” als Social Media Plattform.
YouTube, die Hochstaplerin
Als ich wenig später auf einem Marketing-Blog las, dass YouTube die zweitgrößte Suchmaschine nach Google sein soll, war ich schon nicht schlecht amüsiert. YouTube greift auf dieselbe Datenbank zu wie Google. Somit empfinde ich diesen Titel nicht wirklich verdient. YouTube ist bloß Google in grün. Oder rot in diesem Fall.
Aber wiederholt konfrontierte mich dieser Widerspruch: Zuerst Instagram, nun YouTube. Warum zieht jemand YouTube überhaupt als Suchmaschine in Betracht?
TikTok schnappt
Dieses Jahr haben sich Magazine, BloggerInnen und VloggerInnen nun tatsächlich getraut, einen möglichen Konkurrenten für Google anzukündigen: TikTok sei dabei, Google Suchanfragen von Gen Z streitig zu machen. Es fühlt sich plötzlich an, als würde ein Damokles-Schwert über Google hängen. Was hat TikTok, das Instagram nicht hat, um für Google plötzlich gefährlich zu werden?
Die Qualitäten von TikTok als Suchmaschine
Tatsächlich ist das bestimmt einer der Gründe: Gen Z steht auf Authentizität. Instagram ist dagegen zum Sinnbild von Maskerade und Fake-Kultur verkommen. Alle wissen, dass man auf Instagram besonders viel Fassade zu sehen bekommt.
TikTok dagegen enthält zum größten Teil nahbaren Content.
Ein weiterer Vorteil, der von Gen Z sehr geschätzt wird, ist die Videodauer. TikToks sind kurz. Man findet auf TikTok ein kurzes Video zu praktisch jedem Thema. Stichprobe: Google Trends verrät mir, dass eine häufige Frage im 2021 war “Warum ist Benzin so teuer?”
Obwohl Instagram und YouTube auch shortform-Videoformate haben, werden diese häufig mit recycelten neu zugeschnittenen Videos bespielt, während man auf TikTok bei weitem mehr originalen Content direkt von den Creatorn findet.
Doch selbst wenn Shorts auf Youtube genau so geeignet wären wie TikToks:
Hier die Such-Ergebnisse auf Google. Google, das YouTube besitzt, hat in meinem Test kein einziges Short-Video zum Thema serviert, nicht mal, als ich noch “Video” an die Suchanfrage gehängt habe.
Zum Vergleich hier die Suchergebnisse der selben Suche auf TikTok:
Google-Ads
SEO-Experte Neil Patel hat aber noch einen anderen besonders interessanten Grund dafür aufgeführt, dass Gen Z sich von Google weg hin zu TikTok wendet: Gen Z ist sehr sensibel auf den Umstand, dass viele Suchresultate auf Google aus Ad Anzeigen bestehen und immer mehr Raum einnehmen.
Ist diese Wahrnehmung nur ein subjektives Gefühl? Ist Gen Z einfach überempfindlich?
Tatsächlich wächst der “Real Estate” für Ads auf der SERP zunehmend.
Um diese Behauptung zu untermauern hätte ich zu gerne anstelle dieser kleinen Animation Screenshots von den jeweiligen SERPs gezeigt, für den selben Suchbegriff einen Screenshot für jedes Jahr von 1996 bis heute. Das wäre hübsch gewesen.
Aber das war leider unmöglich zu bewerkstelligen. Es scheint kein SERP-Archiv zu geben.
Wer Blogposts zur SERP-Evolution nachlesen will, kann sich an den folgenden Posts austoben:
Aus dem Jahr 2010, Englisch: https://www.attacat.co.uk
Aus dem Jahr 2014, Deutsch: more-fire.com
Aber ich muss ja nicht extra bemüht Beweise dafür sammeln wollen für etwas, mit dem auch du bereits deine Erfahrungen gemacht hast:
Du musst auf der SERP mit jedem Jahr tiefer scrollen musst, um zu den organischen Suchresultaten zu gelangen.
Googles Reaktion
Googles neuste Map-Features vom September 2022 geben in der SEO-Szene Anlass zur Vermutung, dass diese zu einem großen Teil an Gen Z gerichtet sind.
Da wären beispielsweise
- der “Neighborhood Vibe Check” (Nachbarschafts Vibe-Check),
- die verbesserte Möglichkeit, nach in der Umgebung gerade gepostete Food-Fotos anzeigen zu lassen sowie Restaurants, die bestimmte Mahlzeiten anbieten. “Spaghetti Carbonara in meiner Nähe”,
- Die Suche mit Live-View, eine Art augmented reality: Man hält die Handy-Kamera hoch und Google zeigt, in welche Richtung man welche Shops und sonstige Locations findet. Also sowas wie dynamische Wegweiser auf dem Kamerabild.
Persönlich zweifle ich stark daran, dass das dazu führt, dass die Menschen, die heute lieber TikTok statt Google für gewisse Suchanfragen verwenden, damit zurückgewonnen werden können. Allenfalls erfüllen diese Features, die ich im Übrigen wirklich bestechend finde, eine komplementäre Funktion.
Spezialisierte Suchmaschinen
Da nun aber TikTok als potentielle Konkurrenz von Google identifiziert worden ist – und dies von Tausenden Online-Journalen – sollten wir dann die Definition nicht ein wenig auflockern? Könnten in einer Zeit, in der Professionalisierung hoch im Kurs steht, sogar Suchmaschinen zu einer solchen genötigt werden?
Es ist bei weitem nicht so, als wäre das grundsätzlich ein Novum.
Auch wenn man beinahe alles über Google finden kann, so gibt es schon lange Suchmaschinen, die sich auf gewisse Kategorien spezialisiert haben, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Die Wayback machine
Wer im Internet auf Zeitreise gehen möchte, kann auf archive.org nach einer Webseite suchen und in einem weiteren Schritt einen von unzähligen Momentaufnahmen seit ihrer Existenz abrufen.
Googles Datenbank reicht auch so weit in die Vergangenheit wie archive.org, aber es gibt auf Google keine Möglichkeit, die Momentaufnahmen abzurufen. Somit kann Google die Seite nicht ersetzen.
Quora
Quora ist schlicht und einfach ein Forum für Fragen jeder Art. Die Antworten, die man dazu findet, sind in der Regel persönlicher formuliert als auf Google und von der Community hoch-ge-votet.
Quora-Antworten geraten auch unter die Suchresultate von Google und Co. – und zwar dann, wenn zu einer Frage noch kein “anständiger” Artikel verfasst worden ist.
Während auf Quora nur Fragen gestellt und beantwortet werden, ist Reddit ein Forum für Themen zu jedem möglichen Thema. Wenn man persönliche Stimmen sucht, dann wird man direkt auf Reddit viel eher fündig als auf Google, denn auch hier gilt: Google mag viel lieber sachliche Problemlösungen.
Amazon
Die Datenbank von Amazon umfasst vermutlich die meisten aller verfügbaren Produkte überhaupt. Deshalb wird sie nicht nur gerne zum Bestellen dieser Artikel benutzt, sondern auch für Reviews/Bewertungen derselben. Nirgends ist die Anzahl von Bewertungen so hoch wie auf Amazon.
Fazit
Es scheint klar, dass die spezialisierten Suchmaschinen Google nicht den Boden abgraben werden. Ihre Funktionalität ist auf ganz spezifische Such-Intentionen abgestimmt. Eher wird Google diese mit zusätzlichen Filterfunktionen obsolet machen, als umgekehrt.
Die Kategorie, die ich noch nicht erwähnt habe, sind die Google-Alternativen. Bing, Yahoo-Search, Duckduckgo etc. – sie alle sind für die Suche im kompletten gecrawlten Internet bestimmt. Es scheint mir überflüssig, zu klären, ob diese in die Kategorie der Suchmaschinen gehören. Offensichtlich tun sie das.
Was ist nun aber mit TikTok?
Sollte TikTok es schaffen, weiterhin Suchanfragen von Google zu “stehlen”, kommen wir meiner Meinung nach nicht mehr darum, TikTok mittelfristig als Suchmaschinen-/Social Media-Hybrid zu kategorisieren.
Dies ist auch der Grund, warum die Definition von “Suchmaschine” enger an die Erfüllung einer Suchabsicht geknüpft werden sollte und weniger daran, was gefunden werden will und aus welcher Datenbank.
Das scheint dir vermutlich kleinkariert, aber für mich als SEO hat das gewaltige Implikationen: Die Suchmaschinenoptimierung fokussiert sich zur Zeit zum größten Teil auf Google, was heute durchaus noch gerechtfertigt ist. Und für Kunden wird sich das vermutlich auch nicht so bald ändern. Seitens SEOs sollten Blind Spots dieser Art jedoch verhindert werden, damit wir schnell reagieren können, falls der Wind sich dreht und Gen Z von unseren Analytics weniger und weniger erfasst wird.
